Samstag, 29. Juni 1996

Zettenkaiser - Ostwand (Klettertour)

Tourenbericht:
Zettenkaiser
Lage:
Wilder Kaiser
Datum:
29.06.96
Hoehe:
1953m
Route:
Ostwand: Alte Ostwandfuehre (Egger/Ploner/Haid)
Wandhoehe: 300m, Kletterlaenge ca. 350m, 12 Seillaengen
Schwierigkeit:
IV+ (einige Stellen), IV (40m-Wandl und Gipfelwand), III und II
IMHO vergleichsweise ziemlich streng bewertet.
Meiner Meinung nach sollten auch Nachsteiger sicher eine V beherrschen! Aber: Abgesehen vom Vorbau und dem Gelaende nach der Gipfelwand fester, rauher Fels, sehr griffig
Absicherung:
Einige geschlagene Haken, teils fragwuerdig (viele in Sturz-/Abseilrichtung geschlagen, verschieden alt, verschieden gut), meist 2 SH (verschiedene Generationen), wenig ZH, teilw. fehlen Haken (lt. AV-Topo), 1 Klebe-ZH an der ausgesetzten Querung aus der Nische, KEINE Spuren von Bohrhaken (auch nicht abgesaegte...), 1 Satz Keile, Camalot Nr.1 (SL zur Nische)
Besonderheiten:
Angeblich die klassische (AV-Fuehrer) bzw. schoenste (Hoefler-Fuehrer) Klettertour im IV. Grad im Kaiser.
Stuetzpunkt:
Kaidlhuette, 1318m, privat, 15B 13L (L + 1 Kaffee 150 OES), Huettenwirt ist Bergrettungsheld (lauter Urkunden), Zustieg ab Kufstein (3h), Hinterdux (2h), Sesselbahn Wilder Kaiser (erste zw. 8 und 9 Uhr, offens. je nach Andrang) bis Brentenjoch u. Rest zu Fuss (>1h)
Zum Einstieg:
Von der Kaindlhuette wie zum Widauersteig, westl. ueber Joch, immer unter Scheffauer-N-Wand, Gruebler Lucke queren, direkt zum Vorbau in Falllinie der Kaindlnadel (alles deutliche Trittspuren).
Route, Topo, etc.:
s. Fuehrer

Wir waren als 3er Seilschaft unterwegs, haben (genervt vom letzten Wochenende) die Wettervorhersage beschoenigt, sind am Samstag Frueh in Muenchen gestartet, haben den ersten Sessel (8.30) zum Brentenjoch genommen und waren etwa um 11.00 am Beginn des Vorbaus. Der schien zunaechst mal seilfrei zu gehen (4 SL I - III), am Beginn der 2. Seillaenge seilten wir doch an, da das Gelaende ziemlich heikel ist (bruechig, je nach falscher Route auch schwierigere Stellen, Steinschlag von Seilschaft weiter oben).

Ab Beginn des 40m-Wandl dann mit Kletterschuhen, schoener, strenger IVer. Dann 2 SL leichter die Rinne hoch (originelle Spreizpassage) und standen vor der imposanten, fast senkrechten und glatten Gipfelwand. Sobald man in diese hinein gequert hat wird alles tierisch luftig, nichts mehr fuer schwache Nerven...

Hoch in eine riesige (feuchte) Nische, SP mit grossem Keil und zwei Haken gut absicherbar (ist auch noetig!). Von da aus weiter mit einer luftigen und heiklen Querung fast grifflos auf abschuessigen Tritten (teilw. als Schluesselstelle bez.) wieder in die Wand raus und ein Stueck senkrecht hoch zum naechsten SP neben einem ca. 1m grossen Loch.

Als ich da stand (die anderen hatten die Querung noch vor sich) fing es spontan stark zu regnen an, kurzzeitig war alles nass, aber sofort wieder sonnig, irrsinniger Regenbogen direkt neben uns. Der ausgesetzteste SP der ganzen Tour, noch 2 SL zum Gipfel, war auch schon 17.00 (!)

Als ich in der Haelfte der naechsten Seillaenge war hoerten wir plotzlich ein Donnern, gesehen haben wir nix (Ostwand). Irgendwann brach ein etwa kindsgrosser Fels unter meinen Fuessen weg und donnerte zu den anderen runter. Ich hab mich gerade noch zum naechsten Griff gerettet, die anderen hat das Ding etwa um einen Meter verfehlt. Nach dem Schock und dem OK bin ich schnell noch hoch zum SP, hab mich fixiert, die Seile noch eingezogen, wollte die anderen noch schnell gleichzeitig hochholen. Aber das war auf einmal der Sturm da, wolkenbruchartiger Regen, saumaessiges Gewitter, keine Kommunikation mehr moeglich. Und das direkt ca. 20m unter dem westlichsten Gipfel des Kaisers. Ich musste weg vom Gipfel, raus aus den Sturmboeen. Ich wusste, dass die anderen den grossen Biwaksack haben, fixierte die Seile am SP und seilte an den beiden Verbindungsseilen wieder ab zu den anderen, die sich schon im Loch neben dem Stand unter dem Biwaksack verkrochen hatten. Durch und durch nass und zitternd vor Kaelte und Erschoepfung kroch ich dazu. Seltsam, man fuehlt sich in dieser Situation viel sicherer, wenn man unter so einem Nylondach kauert und die totale Ausgesetztheit, das Gewitter um einen herum, den Sturm einfach nur nicht sieht (wie ein kleines Kind)...

Hagel setzte ein, wir hofften jetzt nur noch, dass wir keinen Blitz abkriegen und dass es nicht zuschneit. Wir gaben dem Unwetter ca. 1 Stunde, dann war das Gewitter erstmal weiter weg, der Regen wurde schwaecher. Wir beschlossen ueber den Gipfel zu gehen, vertrauten nicht der Qualitaet der Abseilhaken. So kletterten wir bei leichtem Regen und starkem Wind an den fixierten Seilen hoch, machten schnell noch die letzte, leichtere Seillaenge und trugen uns nicht ins Gipfelbuch ein ;-)

Bei mehr oder weniger starkem Regen stiegen wir am kurzen Seil mit stellenweiser Sicherung ueber die Nordkante (II) ab. Der Riegensteig waere zwar nur ein Ier gewesen, war uns aber wegen der laengeren Westgratstrecke zu blitzgefaehrlich. Die Nordkante war heikler als erwartet, nasser Batz und abgeschliffene Kletterstellen sind halt eine unangenehme Kombination. Am Schluss noch 1 Laenge abseilen an fragwuerdigen Haken, dann mit der letzten Daemmerung bei stroemendem Regen runter zur Kaindlhuette.

Unser Eintreffen um 21.30 fand der Huettenwirt nicht so spektakulaer. "Wards es des an da Zettenost?", "Jaja, habts es eh no Glueck ghabt mim Weda!", "Wards es vui z' langsam", und so. Wussten wir. Angeblich sind schon oefter welche so um 1 Uhr nachts von der Zetten-Ost zur Huette gekommen.

Ja, jetzt hab' ich das mal erlebt, was ich bisher immer nur gelesen hab'. Das war fuer mich vor allem eine Art Fortgeschrittenen-Kletterkurs. Sowas muss man vermutlich erleben und nicht nur lesen. Entscheidungen treffen. Bei unsicherem Wetter oder unsicherer Vorhersage keine lange Ostwand machen? Geschwindigkeit der Seilschaft fruehzeitig hochrechnen?

Alles Entscheidungen, die ich mir zugetraut hatte. Wo ich genau wie Freund Pit S. ueber andere den Kopf geschuettelt hatte. Aber da ist auf der anderen Seite der Frust in Schlechtwetterperioden, der einen vage Vorhersagen schoendenken laesst. Und all die Sachen, die vorher schon gut gegangen sind. Und so weiter...

Man kann immer nur dazulernen.

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